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Murten 1476 – zwischen sein und Nichtsein: Unser Sommerausflug

Wieder erlebten die 50 Teilnehmer einen hoch-interessanten Tag voller Geschichten und Geschichte der Schweiz. Mit unserem Reiseleiter wird Vergangenes lebendig, konkret und verständlich.

Schon im Bus ab Bern beginnt es mit kurzweiligen Erzählungen des Historikers Jürg Stüssi-Lauterburg. Er erzählt von der allgemeinen Situation in Europa, vom Hergang der Schlacht, von Schlacht-Taktik und fehlender Bescheidenheit und von den Folgen dieser Schlacht für die Weltgeschichte.

Nachfolgend sinngemäss wiedergegebene Aussagen des leidenschaftlichen Historikers. Ein abschliessender Bericht ist kaum möglich, unsere Widergabe hier ist Stückwerk. Es bleibt nur Folgende Empfehlung: Kommen Sie mit auf eine nächste Exkursion in die Schweizer Geschichte!

Wie war das mit den Eidgenossen, Als sie Kanton um Kanton anwuchsen? Der Wert von Freiheit wurde ihnen zunehmend bewusst. Damit einher gingen wachsende Expansionsgelüste. Eigentlich hat die alte Eidgenossenschaft sich eher gegen Norden orientieren wollen. Über den Rhein in den Hochschwarzwald, im Nordwesten Mühlhausen (heute Mulhouse), Rottweil – teils schon enge Verbündete. Unter den Kräften des damaligen Kontinents war ein ständiges Gezerre. Frankreich, Habsburg, dazwischen Burgund, Savoyen. Mittendrin die Eidgenossen, die sich als «Schweizer» immer mehr in Europa bemerkbar machen.

Der Burgundische Karl der Kühne will in diesem Gezerre sein Mittelreich zwischen West und Ost weiter ausbauen. Vom Burgund über Elsass-Lothringen bis nach Belgien. Er hat die damals best-ausgerüstete Armee und ist dabei, strategisch wichtige Gebiete besser an sich zu binden. Wie immer spielen unterschiedliche Kräfte, Strömungen, Zusammenhänge, Interessen ihre Rollen in diesem Gezerre.
Frankreich zum Beispiel will Burgund weg haben. Gut, wenn die Eidgenossen ihn ablenken, aufhalten, vielleicht sogar stoppen. Und im besten Fall selber dabei wieder etwas geschwächt werden.

Die Eidgenossen sind hier aber nicht (nur) Spielball, sondern treten immer selbstsicherer auf. Zum Beispiel im Intermezzo des Peter von Hagenbach. Burgund setzt im Sundgau (Süd-Elsass) diesen Landvogt ein. Seine Brutalität lässt die Volkswut zum überlaufen bringen, was den Eidgenossen eine Plattform bietet, sich «international» bemerkbar zu machen > siehe «Peter von Hagenbach».

Murtens Vorgeschichte ist Grandson: Reiche Beute für die Eidgenossen, aber der Gegner behält sein Heer

Der Burgunder Karl der Kühne wollte die Berner zurückbinden. Denn diese haben im teils burgundischen Waadt immer mehr Nadelstiche gegen ihn gesetzt. In Form von zahlreichen kleineren Eroberungen. Auf dem Weg nach Bern blockierten Yverdon/Grandson, Murten oder je nach Reiseroute auch Fribourg das Burgunderheer.
Zuerst war Grandson dran. Die Eidgenossen im befestigten Städtchen Grandson hatten Befehl, die Stadt gegen die Burgunder zu halten. Karl der Kühne lockte die Eidgenossen mit dem Versprechen «freies Geleit» aus der Stadt – und vergass sein Versprechen sofort wieder: 412 Mann liess er hängen und ertränken. Er wollte wohl ein Machtzeichen setzen. «Er erhielt das Gegenteil. Sein Renommée unter den Eidgenossen sank noch weiter, die Motivation der Eidgenossen stieg markant an.»
Die Verschnaufpause nach dem kurzen Erfolg bei Grandson dauerte für die Burgunder nur kurz. Die Eidgenossen kamen wieder, verstärkt, sie organisierten ihre «Gewalthaufen» neu, bewegten sich schnell und flexibel. Ihr Angriff bei Grandson war so massiv, dass Karl und sein Heer panikartig von Grandson floh. In Richtung Süden, ohne seine schweren Kanonen, ohne Kriegsausrüstung. Die Eidgenossen machten reiche Beute an Kriegsgerät, Geldkisten, Juwelen, teuren Kleidern, süssem Wein und anderem. Sie konnten Karls Heer aber nicht wirksam nachsetzen. Die Schwyzer, Thuner, Bieler, Zürcher, Luzerner, St. Galler etc. waren zu Fuss unterwegs – Karl hatte Pferde.

Wir haben auf unserer Exkursion einen Car. Er fährt uns zuerst nach Cressier FR zur kleinen St.Urban-Kapelle, dann nach Münchenwiler in die wunderschöne Schloss-Anlage mit Kirche (Apéro Riche). Danach Fussmarsch auf Karls Feldherrenhügel «Bodemünzi» (Bois Domingue), schliesslich klettern wir auf die Stadtmauer von Murten und beendeten den Tag mit der letzten Station – vor dem Murtener Gotthelf-Denkmal.
An jedem Ort und im Car informiert Jürg Stüssi-Lauterburg auf unterhaltsame Weise über Orte, Zusammenhänge, geografischen Verhältnisse und mehr.

Karl der Kühne hatte immer viel zu viele Projekte am Laufen. Er wollte auch immer alles selber erledigen. Seine Entscheide waren manchmal sprunghaft, er tadelte seine Leute oft, er glaubte nur seinem eigenen Urteilungsvermögen. Schon in Grandson schätzte er die Situation falsch ein. In Murten dasselbe.
Die Burgunderkriege (Mehrzahl) zeigen es – Karl war oft in mehreren Gebieten gleichzeitig und persönlich beschäftigt. Kurz vor Murten in Grandson, kurz vor Grandson in Neuss bei Köln, schon dort für die Burgunder ein Misserfolg. Nächstes Ziel, etwas näher der Alpen: Das freche Bern zurückbinden!

Dieser Landvogt in Diensten Burgunds, im südlichen Elsass (Sundgau) eingesetzt, war skrupellos. Seine Unterdrückung des Volkes war so brutal, dass er nach einem Volksaufstand vor ein Gericht gesetzt wurde – ein Novum übrigens. Bern, Fribourg und mehrere oberrheinische Städte haben dieses «Strafgericht» unterstützt, er wurde verurteilt und in Breisach hingerichtet. Es war ein Zeichen an alle, dass die Eidgenossen sich gerne ausdehnen wollten.

In Lausanne formiert sich das Burgunderheer nach der Grandson-Niederlage neu. Karl selber wird krank. Jolanda von Savoyen persönlich kommt über den Lac Léman, um ihn aufzupäppeln. Oh Wunder: Seine Genesung gelingt! «Mit den Eidgenossen bin ich noch nicht fertig», wird er ihr gesagt haben. Im nächsten Anlauf nach Bern würde er weiter östlich des Neuenburgersees marschieren. Im Vorbeiweg muss Murten unter Kontrolle gebracht werden, damit diese dem Burgunderheer nicht in den Rücken fallen, wenn man mit Bern beschäftigt sein wird.

Nach der ersten vergeblichen ersten Schlachtaufstellung in Murten (siehe «In hertem Wetter») pfeift Karls seine Leute zurück in die Zelte. Etwa 2000 Mann bleiben auf der Hut. In den Zelten heisst es ausruhen, Kleider trocknen, Essen, Trinken. Immer dabei: Ehrbare und unehrbare Damen.
Karl sieht mit eigenen Augen ein paar Hundert Aufklärer der Eidgenossen, die sich am Waldrand dort auf dem anderen Hügel ein Bild der Lage machen. «Also sind die nur ein paar Hundert. Wir machen Pause.» Karls Nachrichtendienst wusste, dass es weitaus mehr Gegner waren. Karl interessierte das nicht. Er glaubte nur seinen eigenen Augen. Sein Nachrichtendienst hatte ja in den Tagen zuvor schon versagt. Ein sich wiederholender Fehler: Nur der Chef entscheidet, nur der Chef weiss alles.

Bevor Karl der Kühne die Schlacht von Murten zu schlagen hatte, belagerte er die Stadt. Für die stolzen Burgunder «das Städtchen». Die Berner unter Adrian von Bubenberg, zahlenmässig weit unterlegen, waren moralisch stärker. Zwar flogen dauernd Pfeile in die Stadt mit Zetteln, deren Drohbotschaften einschüchtern sollten. Und die regelmässigen Kanonenschüsse der Burgunder mussten ja irgendwann eine Bresche in die Mauer schlagen. Die Murtener waren aber vorbereitet. Sie bauten hinter diesen Lücken  rasch einen zweiten Wall auf. Die Burgunder, die über die Trümmer in die Stadt stürmen wollten, blieben in Fussangeln stecken.
Die eigentliche Schlacht von Murten wurde letztlich nicht an den Stadtmauern geschlagen, sondern um den Feldherrenhügel «Bois Domingue» / «Bodemünzi».

Für Murtens Verteidigung baten die Eidgenossen den Spiezer Adrian von Bubenberg, ob er das Kommando übernehmen könne. «Also gut, ich mache es, aber nur, wenn mir alle hier, auch die Murtener selber, den Gehorsam schwören.»
Wie hält man eine Stadt beieinander, die vor diesem buchstäblich erdrückenden Feind immer mehr in einen Angstzustand gerät? Von Bubenberg liess die ganze Stadt besammeln und gab die Parole durch: «Von jetzt an gilt: Wer das Wort Kapitulation in den Mund nimmt, wird sofort erstochen von jedem, der gerade dabei steht. Wenn ihr dieses Wort von mir hört, habt ihr sofortigen Befehl, mich fröhlich zu erstechen.»

In der mittelalterlichen Schweiz waren Kriegsgebete ein wichtiges Ritual, das sowohl vor der Schlacht als auch nach einem Sieg durchgeführt wurde. Die Schweizer Truppen beteten das Vaterunser und das Ave Maria jeweils fünfmal, wobei sie sich hinknieten und die Arme in einer vorgeschriebenen Haltung ausstreckten.
Diese Haltung, zusammen mit der fünffachen Wiederholung der Gebete, erinnert an die Passion Christi und seine fünf Wunden. Die Schweizer Truppen betrachteten die korrekte Durchführung dieses Gebetsrituals als entscheidend für ihren militärischen Erfolg. Das Schweizer Schlachtgebet war teilweise auch ein taktisches Mittel, das eingesetzt wurde, um Feinde, die mit dem Ritual nicht vertraut waren, zu erschrecken oder zu täuschen. (Quelle)

Das Wetter um den 22. Juni 1476 ist strub. Dauerregen. Als der burgundische Nachrichtendienst den vermuteten Aufmarsch der Eidgenossen meldet, lässt Karl seine Männer aufstellen. Sie stehen da und warten. Und warten. Es regnet. Und regnet. Und wird Abend. Karl lässt seine Männer in die Zelte zurückkehren.

Meteo-Kommentar der Glarner: «In hertem Wetter» – also, wenn die Glarner das so sagen…

Was der burgundische Nachrichtendienst nicht mitbekommt: Auch die Eidgenossen warten. Auf die Zürcher. Diese sind noch unterwegs, ein Gewaltmarsch von Zürich nach Murten, 130 KM in drei Tagen, schon auf dem Marsch verlieren sie 600 Leute.

Auch in Murten haben die Eidgenossen zuwenig Reiter. Sie lösen dieses Problem mit einer Partnerschaft aus dem Norden. Herzog Renatus von Lothringen kämpfte in Murten auf Schweizer Seite. Sein Interesse: Burgund schwächen. Denn Renatus’ Herzogtum Lothringen war ihm von Burgund streitig gemacht worden.

Krieg ist brutal. Im Mittelalter erst recht. Weder das Rote Kreuz noch die Genfer Konvention gab es in Murten. Gar nichts? Doch, es gab eine alte Kriegsordnung der Eidgenossen, seit der Schlacht bei Sempach («Sempacherbrief» 1393), darin ist u.a. festgelegt: Keine Plünderung ohne Erlaubnis, Rücksicht auf Klöster und Kirchen, Schonung der Frauen, die nicht an Kriegshandlungen beteiligt sind, anteilsmässige Aufteilung der Beute. Es war ein Meilenstein, dass Regeln für das Verhalten von Truppen im Krieg festgelegt waren.

Die Schlacht von Murten: Kurzer Prozess

Als der Angriff der Eidgenossen kommt, sind die Burgunder nicht bereit (siehe oben «in hertem Wetter»). Die Schlacht breitet sich nicht direkt vor Murten aus, sondern um den Felherrenhügel Karls («Bodemünzi») und um die Schlossanlage Münchenwiler.
Es ist ein einseitiges Gemetzel. Die Burgunder wehren sich mit ihrer Kavallerie und den (von England importierten) Bogenschützen, haben aber keine Chance – die meisten sind ja in ihren Zelten am Ruhen. Chaos, Rückzug, Flucht, Panik. Die Schweizer holen die Burgunder von den Bäumen, aus Ruinen, aus dem Murtensee: «Im Zelt erstochen, im See ersoffen, auf Bäume gekrochen – es war ein Massaker.»
Taktisch machen die Eigenossen es besser als in Grandson: Sie drehen beim Aufmarsch einen grossen Bogen ums Murtener Gebiet und schliessen die gegnerischen Verbände ein. Es wird kaum mehr Möglichkeit zur Flucht geben. Die Schweizer setzen zudem das in Grandson erbeutete Kriegsgerät effektiv ein. Sie haben auch Kavallerie-Verstärkung, u.a. aus Lothringen.

Karl dem Kühnen gelingt es nach verlorener Schlacht noch einmal, zu fliehen. Nun hat er aber den Grossteil seines Heers nicht mehr bei sich.

Der Kontext: Schweizer Freiheit, neue Phase der Weltgeschichte

Ein halbes Jahr nach der Schlacht bei Murten kämpft Karl der Kühne vor Nancy, der damaligen Hauptstadt der Herzöge von Lothringen (Januar 1577). Karl will die Mitte seines Reiches weiter ausbauen.

Renatus von Lothringen war ja in Murten siegreich dabei, nun erhält er Hilfe von den Schweizern in «seiner» Schlacht. Die Burgunder verlieren auch in Nancy, Karl der Kühne überlebt nicht mehr, er fällt durch ein unbekanntes Schwert.

Bei Grandson fing es an, bei Murten gings weiter, Nancy besiegelt den Untergang des einst stolzen Burgunderreiches. Burgund zerschellt (auch) an den Eidgenossen, die sich ihre Freiheit durch eine weltweit angesehenen VIP namens Karl der Kühne und einer hochstehenden Armee nicht nehmen lassen.

Nun beginnen 250 Jahre direkte Feindschaft zwischen Frankreich und Oesterreich. Immer umkämpft, in der Mitte, immer mal wieder (bis ins 20. Jahrhundert) die Staatszugehörigkeit wechselnd: Elsass und Lothringen.

Die Schweiz hingegen bestätigt ihr Existenzrecht. Im Kriegs-Handwerk sind sie nun hoch angesehen, die «Schweizer» – so nennt man sie jetzt mit hohem Respekt. Es begann schon vorher, jetzt erst recht: Schweizer Söldner, offiziell oder privat angestellt, sind hoch begehrt in ganz Europa.

Niemand mehr macht den Schweizern ihr Gebiet wirklich streitig. Umgekehrt auch nicht: In der internationalen Diplomatie glänzen die Schweizer nicht sehr, jedenfalls was Territorialgewinne betrifft. Vor allem Frankreichs Louis XI erreicht sein grosses Ziel: Burgund ist eliminiert.

Cressier/St. Urban, Münchenwiler, «Bodemünzi» und Murten: Wer an unserer Exkursion dabei war, hat die Orte mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Beinen (teilweise) erwandert: Hier haben die Eidgenossen ihre Freiheit gefestigt – und Weltgeschichte geschrieben.

Die Reisegruppe am Ende der Exkursion, vor dem Gotthelf-Denkmal bei der Kirche Murten.

Sie möchten an einer nächsten Exkursion teilnehmen? Geplant ist eine Fahrt zur Schlacht von Sempach – Datum noch nicht festgelegt. Melden Sie sich per E-Mail an, damit wir Sie informieren können: •••@•••

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